Als der dichtbesiedeltste Mainzer Stadtteil lebt die Neustadt von ihrer Mischung aus „Alt-Mainzern“, „Jung-Mainzern“, Studenten, Mainzern, Migranten, Mainzern und Hipstern. Wie ein Museumsdorf unter dem Motto „Deutschland der Neuzeit“ reihen sich hier Wohn- und Geschäftshäuser aus der Gründerzeit an Fertigbauten aus den sechziger Jahren. Wer sich aber der einen oder anderen Wohnung nähert, erlebt eine Überraschung!
Majestätisch steht da das eine oder andere Wohnhaus aus Backstein, aus heutiger Sicht überbordend stuckgeschmückt, und doch bescheiden, spricht doch aus jeder Mörtelfuge gleichsam der Geist der Sozialdemokratie des beginnenden letzten Jahrhunderts: „Ich bin – ich war – eine Mietskaserne für Arbeiter, sonst nichts!“. Allein: die Quadratmeterpreise heutzutage lassen dies kaum mehr vermuten. Überbleibsel aus dem 19. Jahrhundert, heute begehrt: nicht nur die Aussicht von den Balkonen in den höheren Stockwerken muss beeindruckend sein.
Und dann die Überraschung: nähert man sich einem der aus heutiger Sicht surreal erscheinenden Wohnpaläste, erblickt man weitere Details. Gardinen hängen an den Balkonen, Zimmerpflanzen auf den Vordächern, kitschige Satellitenschüsseln auf den Fensterbänken. Ist das Haus etwa bewohnt?
Wer wohnt denn da?
Auch beschriftete Klingelschilder sprechen für diese Vermutung. Und: sogar Briefkästen! Wir klingeln, wollen es jetzt genau wissen.
An der Gegensprechanlage meldet sich eine ältere Dame: „Mein Mann hat bei der Post gearbeitet“, erklärt sie die Existenz der vielen Briefkästen im Hauseingang – „anders kann ich mir da keinen Reim drauf machen!“. Mehr wolle sie nicht sagen.
Es gab noch neun andere Klingeln an dieser Haustür. Wir haben uns nicht getraut zu klingeln. Aber wir bleiben dran.
Bildquelle Beitragsbild: Wikipedia/User Nixnubix, CC-BY-SA-4.0